Mal wieder hat Salvador (Antonio Banderas) einen Arzttermin, seine Agentin Mercedes (Nora Navas) begleitet ihn dabei. © STUDIOCANAL GMBH / EL DESEO
Ein Leben für den Film
Das autobiografisch geprägte Melodrama »Leid und Herrlichkeit« enthüllt Regisseur Almodóvars Inneres.
Einfach mal abtauchen, die Augen schließen, das Hier und Jetzt vergessen. Salvador Mallo (Antonio Banderas) genießt im Schwimmbad die völlige Stille, den Ruhepuls unter Wasser. Untergehen will und wird er jetzt nicht, auch wenn in seiner Lebensrealität die Untergangsstimmung dominiert. Harter Schnitt in die 60er-Jahre, nach Paterna, eine kleine Gemeinde in der Provinz Valencias. Das Wasser, es sprudelt jetzt, wird lebendig in seiner natürlichen, ungebändigten Form, im Fluss, an dessen Ufer vier Waschfrauen fröhlich zu tanzen beginnen und spontan das spanische Volkslied A tu vera intonieren. Nur einer tanzt dabei aus der Reihe: der neunjährige Salvador (Asier Flores), der der ungezwungenen Lebenslust der Frauen – darunter auch seine Mutter Jacinta (Penélope Cruz) – wie gebannt zusieht.
Leid und Herrlichkeit, sie liegen so nah beieinander in diesen zwei Momenten, die nur die Erinnerung, das Kopfkino trennt. Und so stehen sie, dem Titel gemäß, auch stellvertretend am Anfang des neuen, stark autobiografisch gefärbten Films von Pedro Almodóvar, für den ein ungewohnt zurückhaltender Antonio Banderas, der auf dem Filmfest München den CineMerit Award erhält, in Cannes völlig zu Recht mit einer Palme für den besten Darsteller geehrt wurde.
70 Jahre wird Pedro Almodóvar, dieser kultisch verehrte spanische Filmemacher, im September alt, eine Zäsur, die auch in seinem neuen Film zum Tragen kommt. Denn die Zeiten des schrillen Enfant Terrible aus den wilden 80ern sind längst vorbei. Wozu auch noch der Tabubruch, seine eigene Homosexualität hat er längst in allen Facetten filmisch verarbeitet, lustvoll so zahlreiche Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs gezeigt. Auch im Kanon der Cineasten ist Almodóvar seit Langem angekommen mit virtuosen Melodramen wie Alles über meine Mutter und vor allem Sprich mit ihr. Nach seinem größten kommerziellen Erfolg Volver kam die Karriere dann zuletzt ein wenig ins Stottern, schienen dem Spanier die Ideen auszugehen.
Die Angst vor der Wiederholung, das Erstarren in der Rückschau steht als großes Thema auch über seinem neuen Werk Leid und Herrlichkeit. In einer furiosen Animation von Juan Gatti erfahren wir auch den weiteren Grund für den kreativen Stillstand von Salvador: Der Körper macht nicht mehr mit, der Ischias klemmt, das Hirn ist von Kopfschmerzen zermartert und »natürlich« hat dieser alternde Künstler auch noch Depressionen. Leiden auf hohem Niveau, dürfte hier so mancher spötteln, denn an Geld und Freunden scheint es ihm nicht zu mangeln, betrachtet man die wie ein Museum dekorierte Wohnung und die vielen Einladungen zu Ausstellungen und Galadiners.
Nur Zustandsbeschreibung möchte der Film aber nicht sein, deswegen werden die knappen Rückblenden in die trotz Armut, abwesendem Vater und Furcht vor der Priesterschule glückliche Kindheit unterbrochen von einem scheinbar kleinen Vorfall, der wie so oft bei Almodóvar eine Ereigniskette in Gang setzt, die eng mit Zwischenmenschlichem aus der Vergangenheit verzahnt ist. Nun trifft sich dieser Schmerzensmann für eine geplante Wiederaufführung seines Klassikers Sabor also mit Alberto Crespo (Asier Etxeandia), seinem damaligen Hauptdarsteller, mit dem Salvador jedoch zerstritten ist. Der etwas abgetakelte Schauspieler und sein einstiger Regisseur finden dann ausgerechnet im Heroinkonsum wieder zueinander, was zu aberwitzigen Momenten wie einer im Rausch stattfindenden Handy-Live-Schaltung zu besagter Filmvorstellung führt.
Alberto erhofft sich von dem überraschenden Treffen aber auch einen Karriereschub, und zwar ganz konkret mit der Aufführung des unveröffentlichten Monodramas Die Sucht. Salvador jedoch ziert sich, seine Lebensbeichte, die auch eine tragische Liebe aus den 80er-Jahren beinhaltet, freizugeben, einem anderen zu überlassen. Als es dann doch dazu kommt, sitzt der einstige Lover Federico (Leonardo Sbaraglia) prompt in der Vorführung, was – wenig verwunderlich – weitere Verwicklungen nach sich zieht. Wie Almodóvar nun von dieser gebrochenen Beziehung und in der Reflexion von der eigenen sexuellen Erweckung als Junge erzählt, ist von großer Zartheit und ganz ohne grelle Effekte, dafür aber mit erlesen funkelnder Bildsprache inszeniert. Im besten Sinne lässt sich Leid und Herrlichkeit deshalb auch als Alterswerk einordnen, ohne jedoch den Anschein zu erwecken, dass das filmische Kapitel Pedro Almodóvar damit abgeschlossen wäre.
Florian Koch
Start: 25. Juli